Neurodivergenz und mentale Gesundheit: Intersektionale Erkenntnisse und neue Ansätze
Das Zusammenspiel von Neurodivergenz – etwa Autismus und ADHS – und mentaler Gesundheit rückt zunehmend in den Fokus der Wissenschaft. Neurodivergente Menschen haben oft ein höheres Risiko, psychische Belastungen zu erleben, und genau hier setzen neue Ansätze an, die darauf abzielen, frühzeitig und umfassend zu unterstützen.
Ein erhöhtes Risiko, das oft übersehen wird
Menschen mit Autismus oder ADHS sind häufiger von Depressionen oder Angststörungen betroffen als neuronormative Menschen. So zeigt eine britische Studie, dass bis zu 70% der autistischen Personen im Laufe ihres Lebens psychische Erkrankungen entwickeln. Auch bei Menschen mit ADHS treten vermehrt Komorbiditäten wie Depressionen und Angststörungen auf.
Ein großes Hindernis dabei: Die Symptome von Neurodivergenz und psychischen Störungen werden oft verwechselt, was zu falschen Diagnosen und verzögerten Therapien führt. Diese Verzögerungen können bestehende Probleme verstärken und den Zugang zu gezielter Unterstützung erschweren. Leider scheint dies eher die Regel denn die Ausnahme zu sein.
Frühzeitige und integrative Ansätze
Erste Kliniken in Deutschland verfolgen einen vielversprechenden Ansatz: Sie bieten eine integrative Diagnostik an, die Neurodivergenz und mentale Gesundheit gemeinsam betrachtet. Hier arbeiten Fachärzt*innen und Neuropsycholog*innen Hand in Hand, um sowohl neurodivergente als auch psychische Aspekte umfassend zu berücksichtigen. Ein Beispiel dafür habe ich kürzlich bei einem Besuch in einer Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit erlebt, wo ich mich mit Fachkräften über diesen zukunftsweisenden Ansatz austauschen konnte. Davon werde ich in einem weiteren Beitrag berichten.
Gerade für junge Menschen, bei denen Neurodivergenz früh erkannt wird, bietet dieser Ansatz viel Potenzial, psychische Belastungen zu reduzieren und präventiv tätig zu werden.
Inklusion am Arbeitsplatz: Ein unterschätzter Faktor
Auch in der Arbeitswelt gibt es positive Entwicklungen, die neurodivergente Stärken stärker in den Fokus rücken. Innovative Unternehmen haben längst erkannt, dass Neuroinklusion nicht nur die Vielfalt fördert, sondern auch das psychische Wohlbefinden steigert. Neurodivergente Mitarbeitende arbeiten produktiver, wenn ihre besonderen Fähigkeiten geschätzt und eingebunden werden.
Ein Vorreiter in diesem Bereich ist die Initiative „Dyslexic Thinking“, die von Richard Branson vorangetrieben wurde. Seit 2022 ist dieser Begriff als offizieller Skill auf LinkedIn anerkannt – ein klares Zeichen dafür, dass die Stärken von Menschen mit Dyslexie in der Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen.
Fazit: Ganzheitliche Unterstützung für neurodivergente Menschen
Die wachsende Forschung zeigt deutlich, dass Neurodivergenz und psychische Gesundheit enger miteinander verbunden sind, als lange angenommen. Ein integrativer Ansatz, der beide Bereiche berücksichtigt, bietet nicht nur effektive Unterstützung, sondern auch die Chance, psychische Belastungen von Anfang an zu verringern. Spannend bleibt, wie diese Entwicklungen unser Verständnis von Neurodiversität und mentaler Gesundheit weiter verändern werden. Fakt ist, dass es derzeit viel zu wenig Angebote und Unterstützung gibt, welche die Intersektionalität bei Neurodivergenz berücksichtigt.
Daher erhoffe ich mir, dass diese neuen Erkenntnisse helfen, veraltete Denkmuster zu durchbrechen und neue Perspektiven für ein inklusiveres und gesundes Miteinander zu schaffen. Hierzu braucht es Offenheit, Weiterbildung und Austausch.